Wie lassen sich die biblischen Geschichten ohne antijüdische Projektionsmuster erzählen? In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen spricht Kathy Ehrensperger über Römer 3:1 und Galater 5,2. Beschnittensein gilt nichts und Unbeschnittensein gilt nichts, heißt es in mehreren Paulusbriefen. Wenn das zutrifft, muss man fragen, weshalb Paulus eine so vehemente Debatte in dieser Sache führte. In jahrhundertelanger Auslegungstradition wurde diese Debatte als Argument gegen das Beachten der «Gesetze» durch Christus-Gläubige verstanden, da dieses in Christus überwunden oder aufgehoben sei.
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden*Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren. In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen von September 2021 bis April 2022 jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potential biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Prof. Dr. Kathy Ehrensperger hat seit 2017 eine Forschungsprofessur für Neues Testament in jüdischer Perspektive am Abraham Geiger Kolleg der Universität Potsdam inne. Davor war sie seit 2004 Dozentin für Neues Testament an der University of Wales. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Geschichte und Literatur der Zeit des Zweiten Tempels, Texte des Neuen Testaments als Dokumente jüdischer Tradition und Geschichte, Paulus sowie Fragen von Identitätsbildung und Gender in der Antike.
Den Bibeltext zu Römer 3:1 und Galater 5,2 können sie hier nachlesen in der Lutherübersetzung.