Wie lassen sich die biblischen Geschichten ohne antijüdische Projektionsmuster erzählen? In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen spricht Frank Crüsemann über die biblische Landverheißung und deren antisemitischen Missbrauch.
Weil Abraham bereit ist, dem Ruf Gottes zu folgen und in ein unbekanntes Land zu ziehen, gibt ihm Gott das Land Kanaan, obwohl dort ausdrücklich schon andere Menschen leben. In der antisemitischen Lesart wird aus diesem unlösbaren Bezug des jüdischen Glaubens zum Land eine Karikatur. Die angebliche Vernichtung der Vorbewohner Kanaans beim Einzug ins Land bildet ihr Zentrum, zumal in den heutigen Debatten über die Legitimität und Sicherheitspolitik des Staates Israel.
Ausgehend von der ersten Landverheißung der Bibel (Genesis 12, 1-7) stellt Frank Crüsemann die Vielfalt biblischer Konzepte über den Bezug zum Land und zu seinen Bewohnern vor – einschließlich der bereits in der Bibel erwähnten Kritik an den gewalttätigen Textpassagen. Und er spricht über die Folgen für Theologie und Politik heute.
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte sowie junge Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten. Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren.
In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potenzial biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Prof. em. Dr. Frank Crüsemann war Professor für hebräische Bibel an der Kirchlichen Hochschule Bethel und hat sich mit Veröffentlichungen zum christlich-jüdischen Dialog, als Mitherausgeber der Bibel in gerechter Sprache sowie als Mitwirkender bei der AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag verdient gemacht.