Wie lassen sich die biblischen Geschichten ohne antijüdische Projektionsmuster erzählen? In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen nimmt Matthias Ederer die bekannte Redewendung «Auge um Auge, Zahn um Zahn» in den Blick.
Wo immer diese Formulierung gebraucht wird, sind Schlagworte wie «Eskalation» und «Gewaltspirale» nicht weit. Sie steht für harte Gewalt und vor allem für handgreifliche Rachsucht. Und diese Rachsucht hat in vielen Köpfen immer noch – bewusst oder unbewusst – eine religiöse Bindung: Sie wird als «typisch jüdisch» angesehen und ist damit eines der ältesten antisemitischen Stereotype, das zugleich sehr «lebendig» ist, weil es kaum problematisiert wird.
Vor diesem Hintergrund kann es sehr spannend sein, einen intensiveren Blick auf die (wenigen) biblischen Texte zu werfen (Ex 21,24; Lev 24,20; Dtn 19,21), in denen die vielzitierte Redewendung belegt ist. Matthias Ederer wird die jeweiligen Kontexte und Hintergründe genauer beleuchten und dabei ergründen, wie «Auge um Auge, Zahn um Zahn» heute sachgemäß zu verstehen sein kann – und inwiefern es «typisch jüdisch» ist.
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte sowie junge Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten. Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren.
In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potenzial biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Prof. Dr. Matthias Ederer hat Judaistik und Katholische Theologie studiert und arbeitet seit 2020 als Professor für Exegese des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern (Schweiz).