Gesellschaft ist da, wo Individuen in Wechselwirkung treten. (Georg Simmel)
Tiere sind Teil unserer Gesellschaft. Nicht nur versteckt, wie in der Praxis der Nutztierhaltung oder in Tierversuchen. Auch öffentlich, z. B. als Familienmitglieder, PatientInnen oder TherapeutInnen gestalten und verändern sie unser Verständnis von Institutionen und wirken so auf unsere gesellschaftliche Praxis zurück. In den Human-Animal Studies wird intensiv diskutiert, inwiefern diese Wechselwirkungen dahin tendieren, klassische Unterscheidungen zwischen Mensch und Tier tiefgreifend in Frage zu stellen. Entdifferenzierungen zeigen sich z. B. in der Übertragung von normativen Erwartungen aus der humanmedizinischen auf die veterinärmedizinische Praxis. Der Begriff des Patienten bzw. der Patientin verbindet beide medizinischen Disziplinen. Die Rede von tierlichen PatientInnen ist insofern keine Überraschung mehr, sondern vielmehr zur Norm geworden. Und die Frage, ob Tiere eine Psyche haben, ist praktisch durch die Gabe von Psychopharmaka für Hunde und Katzen entschieden.
Neben diesen Entdifferenzierungen dokumentiert die Rede von liminal animals (Schwellentiere) in den Human-Animal Studies die unterschiedliche gesellschaftliche Zuordnung biologisch ähnlicher Wesen. Bestimmte Tiere, wie etwa Pferde, sind in unserer Gesellschaft entweder Heim- oder Schlachttiere. Dies ist Folge einer Vergesellschaftung, die Zugehörigkeiten und Ausgrenzungen aushandelt und letztlich die möglichen Varianten der Vergesellschaftung festlegt.
Unter dem Blickwinkel der Vergesellschaftung geben zudem die Wildtiere Fragen mit auf den Weg. Ist es bei Wildtieren sinnvoll von einer Vergesellschaftung zu reden und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Oder machen uns Wildtiere deutlich, dass es auch ein «Außerhalb»“ der Gesellschaft gibt?
Die Tagung setzt sich mit der Frage der Vergesellschaftung von Tieren als Thema der Human-Animal Studies auseinander. Was heißt es, dass Tiere gesellschaftliche AkteurInnen sind? Was sind die Voraussetzungen, was die Folgen, wenn Tiere mit Menschen in Wechselwirkungen treten?
Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Prof. Dr. Herwig Grimm & Prof. Dr. Stefan Rieger & Prof. Dr. Martin Ullrich, Forschungsinitiative Tiertheorien (FITT)
Dr. Stephan Schleissing, Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften an der LMU München