Das berühmte und viel zitierte Oberhausener Manifest erscheint im Nachhinein wie die vorweggenommene Revolte von 1968. Erzürnte und enttäuschte junge Filmemacher, die von der etablierten Filmindustrie abgewiesen wurden und dort keinerlei Arbeitsmöglichkeiten mehr sahen, sagten sich damals los von «Opas Kino» und forderten einen radikalen Neuanfang. Es dauerte allerdings mehrere Jahre, bis jene Filme auf der Leinwand erschienen, die mit provokativen Sujets, neuen Erzählformen und neuen Bildern den revolutionären Ansprüchen der Oberhausener gerecht wurden. «Schonzeit für Füchse» von Peter Schamoni und «Abschied von gestern» von Alexander Kluge – beide aus dem Jahr 1966 – wurden von der erwartungsvoll gespannten Öffentlichkeit als erste überzeugende Exponenten einer «Neuen deutschen Welle» wahrgenommen. In diesen Filmen erweist sich, von heute aus betrachtet, der «Junge» der «Neue» Deutsche Film sowohl als Indikator wie auch als Motor der 1968er-Bewegung. Beide Filme werden innerhalb der Tagung gezeigt und analysiert. Beide Filme legen Grundmotive von 1968 offen, machen eine erstarrte und erkaltete Welt sichtbar, zeichnen düstere Psychogramme der bundesrepublikanischen Gesellschaft, offenbaren die Unhaltbarkeit der Zustände und drängen auf eine Veränderung.
Dieser Zusammenhang von scharfer Gegenwartsanalyse und revolutionärer Erwartung steht im Mittelpunkt der Tagung. «Abschied von gestern», programmatisch schon in seinem Titel, gibt darüber hinaus Gelegenheit, Genderfragen zu stellen und das Verhältnis von Weiblichkeit und 1968 auf der Ebene des Films zu untersuchen. Anita G., die Heldin dieses Films, durchwandert als ortlose Streunerin die Alltagsräume und die Institutionen der alten Bundesrepublik. An ihren Erfahrungen, an ihrer Körper- und Leidensgeschichte zeigt sich mit aller Deutlichkeit die Inhumanität und Lächerlichkeit der überkommenen bürgerlichen Welt.
Ein Seitenblick der Tagung gilt der Nouvelle Vague in Frankreich, ohne deren Vorstöße und Erfolge der Neue Deutsche Film überhaupt nicht denkbar ist und auf die er sich daher beständig bezieht. Jean-Luc Godard nimmt in «Weekend» (1967) den revolutionären Mai 1968 buchstäblich vorweg, führt in drastischen Bildern eine auseinanderbrechende, in Terror und Gewalt versinkende Gesellschaft vor, feiert aber auch zugleich die alten, klassischen Künste.
Zeit: 23. November 2018 - 25. November 2018
Veranstalter: Evangelische Akademie Hofgeismar, claudia.bochum@ekkw.de