Evangelische Akademien Deutschland

Pressemitteilung: Fachtagung und öffentliche Podiumsveranstaltung


Antisemitismus wird als säkulares Problem traktiert, nicht weil es das ist, sondern weil es religions-unsensibel betrachtet wird. Deshalb gerät das Geflecht von christlich geprägten Tiefenstrukturen, von Transformationen zwischen Christlichem und Profanem, Rekombinationen, Gemengelagen und Aktualisierungen bis hin zum interreligiösen Transfer nicht in den Blick. Ungenutzt bleiben damit auch die präventiven Möglichkeiten einer schulischen wie außerschulischen religionspädagogischen oder ethisch orientierten Bildung, die Antisemitismus resp. Judentum ergänzend zur historischen Bildung im Kontext «unserer» Selbstbilder in pluralen Gesellschaften erörtert. Das könnte helfen, die Engführung von Antisemitismus und von Judentum mit dem Nationalsozialismus aufzubrechen, wie es schon länger und wieder in jüngerer Zeit von der Pädagogik wie der Judaistik und Vertreter*innen der deutschen Judenheit angemahnt wird. Es würde überdies vorhandene institutionelle Möglichkeiten der formellen wie informellen Bildung (also z. B. die Religionspädagogik oder die Erwachsenenbildung) in die Präventionsarbeit grundlegender einbeziehen als bislang. Im in vielerlei Hinsicht elaborierten Bericht des
«Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus» der Bundesregierung werden die Bereiche «Islam» und «Migration» detailliert erörtert, während der durchaus massive Aspekt christlicher Judenfeindschaft
zum Beispiel des «Kairos-Palästina-Dokuments» verkannt wird. Dieses Dokument aber ist die Referenz der BDS-Bewegung in christlichen Bezügen mit nationaler wie globaler Wirkung weit in kirchliche
Strukturen hinein. Anders liegt der Fall der Beschneidungskontroverse, in der sich Gegner der religiösen Beschneidung dezidiert als aufgeklärte, wissenschaftliche Kritiker*innen positionierten, das Judentum aber ganz im Stile des christlichen Antijudaismus als archaische, rächende, partikulare, durch die Aufklärung (statt früher durch das Christentum) überwundene Religion kennzeichneten. Wiederum anders liegen die Zusammenhänge, in der die Parole «Kindermörder Israel» steht. Mit der vermeintlichen Ermordung eines palästinensischen Jungen zu Beginn der zweiten Intifada, die spektakulär weltweit in allen Medien skandalisiert wurde, wird ein kindlicher Märtyrer des Dschihad inszeniert und zugleich, wie die Quellen deutlich zeigen, die Ritualmordlegende antiisraelisch revitalisiert. In den beiden zuletzt genannten Fällen könnte man also von Elementen christlicher
Judenfeindschaft ohne Christ*innen sprechen.
Die Tagung eröffnet die Debatte zu diesen Themen, die im Laufe des Projekts eines Forschungs- und Praxisverbundes aus Freie Universität Berlin, Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut, Evangelische Akademien in Deutschland e. V., Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg und Netzwerk antisemitismus- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie (narrt) an der Evangelischen Akademie zu Berlin weitergehende Erkenntnisse über
christlich-säkulare Tiefenstrukturen und Gemengelagen des zeitgenössischen Antisemitismus das Feld präventiver Ansätze erarbeiten wird.

Flyer zu den Veranstaltungen