17. Juni 2025 | Evangelische Akademien in Deutschland e. V.
Wie lässt sich digitale Diskurskultur stärken?
3 Fragen an Ingo Dachwitz
Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org, im Interview über die Möglichkeiten zur Stärkung der digitalen Diskurskultur durch Politik, Zivilgesellschaft und Kirche.
EAD: Die neue Bundesregierung hat ihre Arbeit aufgenommen. Was kann und was muss sie Ihrer Einschätzung nach tun, um die digitale Diskurskultur zu stärken?
Ingo Dachwitz: Es gibt zwei Kernprobleme, die gelöst werden müssen: Da sind zum einen die demokratiefeindlichen Kräfte, die das Netz strategisch nutzen, um den Diskurs zu zersetzen, das Vertrauen in Institutionen zu schwächen und marginalisierte Gruppen aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Zum anderen die Plattformen als wichtigste Foren der Öffentlichkeit, die nicht genug gegen die bekannten Probleme unternehmen und selbst zu Treibern der Polarisierung geworden sind.
Der neue Digital Services Act gibt der Europäischen Union die Möglichkeit, digitale Plattformen mehr in die Verantwortung zu nehmen. Doch die US-Regierung übt massiven Druck auf die EU aus, die Regulierung der Tech-Konzerne zurückzufahren. Brüssel und Berlin müssen da gemeinsam Rückgrat beweisen. Leider fallen die Angriffe hier aber teilweise auf fruchtbaren Boden, denn auch der neue Bundeskanzler hat sich Deregulierung auf die Fahnen geschrieben. Wir müssen aufpassen, dass nicht unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus demokratische Errungenschaften ausgehöhlt werden. Stattdessen müssen wir die Plattform- und Datenschutzaufsicht vernünftig ausstatten und auch Gerichte aus ihrer Überlastung holen, damit geltendes Recht besser durchgesetzt wird.
Das wären ein paar Grundlagen. Ein progressiver Ansatz würde darüber hinaus entsprechende Initiativen fördern: Von der Bildungsarbeit über dezentrale Soziale Netzwerke bis zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Qualitätsjournalismus. Union und SPD könnten zum Beispiel endlich Journalismus als Gemeinnützigkeitszweck festlegen oder ein Transparenzgesetz auf den Weg bringen, das Vertrauen in die Demokratie stärkt. Zudem muss ein AfD-Verbot mindestens geprüft werden.
EAD: Welche Möglichkeiten haben demokratische Akteure, um zu einer gelingenden Diskurskultur im Netz beizutragen?
Ingo Dachwitz: Erstens sollten wir in Sozialen Medien Gegenrede leisten und klar Position beziehen gegen menschenfeindliche Äußerungen und Lügen. Zweitens können wir uns aktiv für oder gegen bestimmte Plattformen entscheiden: Wer heute beispielsweise noch auf X unterwegs, legitimiert damit die von Elon Musk zur rechtsradikalen Propagandamaschine umgebaute Plattform. Es gibt ja inzwischen nicht-kommerzielle Alternativen wie das Fediverse. Drittens müssen wir Politiker:innen in die Pflicht nehmen. Man muss das leider so deutlich sagen: Auch die demokratischen Parteien rechts der Mitte haben im Wahlkampf das Spiel der Populisten gespielt. Die übertrieben harten Angriffe auf die politischen Mitbewerber:innen und die Zivilgesellschaft. Die Desinformation zu Themen wie Wärmepumpen oder Atomausstieg. Das Offene-Feldschlacht-Theater zum Ende der Ampel. Das schadet der Diskurskultur mehr als alles andere.
EAD: Sie sind selbst Mitglied der Evangelischen Kirche. Welchen Faktor kann die Kirche im digitalen Raum darstellen und welche Botschaften sollte sie dort senden?
Ingo Dachwitz: Ich habe ehrlich gesagt wenig Hoffnung, dass die Evangelische Kirche noch zu einem Faktor für die Gestaltung des digitalen Raums wird. Diesen Anspruch hatte die EKD-Synode bereits vor mehr als einem Jahrzehnt in ihrem Beschluss zur „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“ formuliert, die Digital-Denkschrift hat 2021 weitere Möglichkeiten aufgezeigt. Passiert ist wenig. Die Kirchen verharren in ihrer Rolle als passive Nutzer:innen digitaler Dienste, die lediglich versuchen, mit professioneller Kommunikation das Beste für sich herauszuholen. Diese unpolitische Nutzung des digitalen Raums verstärkt die vorherrschenden Machtstrukturen. Dabei hätten die Kirchen weitreichende Möglichkeiten, sich für Verbesserungen einzusetzen: von ihrem politischen Einfluss über die Bildungsarbeit bis zu ihrer Marktmacht als große Nutzer:innengruppe digitaler Dienste und IT-Produkte.

©Darja Preuss
Ingo Dachwitz, Journalist und Kommunikationswissenschaftler, ist seit 2016 Redakteur bei netzpolitik.org. Er schreibt u.a. zum Thema Datenschutz, Datenmissbrauch, Plattformregulierung und Transparenz. Ausgezeichnet wurde er bereits mit dem Alternativen Medienpreis sowie dem Grimme-Online-Award. Er ist Mitglied des Vereins Digitale Gesellschaft sowie der Evangelischen Kirche. In dieser hatte er bereits verschiedenste Positionen inne: Jugenddelegierter in der 11. Synode der EKD, Mitglied der sozialethischen Kammer der EKD, Mitglied im Vorstand der aej sowie im Beirat der Evangelischen Akademie zu Berlin. Zuletzt erschien im Februar 2025 sein Buch „Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen“.