19. Juni 2023 | Evangelische Akademien in Deutschland e. V.
„Protestantische Perspektiven machen einen großen Unterschied“
Interview mit Hanna Lorenzen und Ole Jantschek
Seit dem 1. Juni 2023 hat die gemeinsame Geschäftsstelle der Evangelischen Akademien in Deutschland (EAD) und der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et) eine neue Leitung. Anlass für ein Gespräch mit Hanna Lorenzen als Generalsekretärin der EAD und Ole Jantschek als Bundestutor der et über ihre Perspektiven auf die Weiterentwicklung evangelischer Akademie- und Bildungsarbeit. Das folgende Interview ist im aktuellen EAD-Newsletter «Diskurse» erschienen.
Diskurse: Sie arbeiten beide schon lange in der Geschäftsstelle zusammen und übernehmen nun als Team die Leitung. Welche Prioritäten und spannenden Aufgaben haben Sie sich vorgenommen?
Hanna Lorenzen: Politische, ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Krisen setzen aktuell weltweit Demokratien unter Druck. Themen wie Corona, Klima oder Krieg führen oftmals zu einer Polarisierung öffentlicher Debatten. Wir stehen mittendrin in kirchlichen und gesamtgesellschaftlichen Umbruchsprozessen. Damit stehen wir natürlich auch vor der spannenden Frage, welche Rolle Evangelische Akademien jetzt und in Zukunft einnehmen, um Räume für Begegnung und echten Diskurs anzubieten. In der Kirche gehen diese Veränderungsprozesse auch mit knapper werdenden Ressourcen und einem verstärkten Legitimationsdruck einher. Natürlich stellen diese Entwicklungen für die EAD und ihre Mitglieder eine Herausforderung dar. Hier möchten sich Evangelische Akademien verstärkt als Gestaltungspartner zu Transformationsfragen in der Kirche einbringen. Ich freue mich darauf, mit den Kolleg*innen der EAD und der Evangelischen Akademien Ideen zu entwickeln, wie das konkret gelingt. Es bleibt eine wichtige Aufgabe, die Vielfalt der Akademieformate, -themen und des -publikums sichtbar zu machen. Evangelische Akademien sind anerkannte Partner des Staats als Fördermittelgeber politischer Bildungsarbeit und von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Der Dachverband und die Bildungsarbeit der Evangelischen Akademien finanzieren sich beispielsweise zu großen Teilen aus Drittmitteln der öffentlichen Hand. Hier möchte ich mich dafür stark machen, dieses hohe Niveau an Profilierung und Innovationskraft zu erhalten und weiter auszubauen.
Ole Jantschek: Angesichts der gerade benannten gesellschaftspolitischen Herausforderungen ergeben sich spannende Entwicklungsfelder für die politische Bildung mit Jugendlichen und Erwachsenen. Wir müssen dabei den eigenen Auftrag und unsere Ziele klar definieren, um mit begrenzten Ressourcen Wirkung zu erzielen. Es gilt also herauszuarbeiten, welche Erfahrungen und welche Qualität uns in der eigenen Arbeit besonders wichtig sind, welche politischen Rahmenbedingungen und welche Praxis es dafür braucht. An diesem Fachdiskurs um politische Bildung möchte ich mich gemeinsam mit den Kolleg*innen in den Akademien und in den Einrichtungen der Evangelischen Jugend (aej) aktiv beteiligen. Als bundesweites Fachnetzwerk arbeiten wir in der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung sehr eng zusammen. Wir haben beste Voraussetzungen und auch den Auftrag, die Brücke zwischen Praxis, Fachdiskurs und Jugendpolitik zu schlagen. Besonders am Herzen liegt mir dabei eine weitere diversitätsorientierte Öffnung und inklusive Gestaltung unserer Arbeit. Dazu müssen wir unsere eigene Rolle kritisch reflektieren, neue Kooperationen aufbauen und Jugendliche selbst zu aktiven Mitgestalter*innen machen. Wir werden außerdem weiter an zeitgemäßen Methoden und Formaten basteln, die für die jeweiligen Zielgruppen passen, zum Beispiel durch spielbasierte Ansätze und aufsuchende Formate. Und nicht zuletzt braucht es Fachlichkeit – gerade in den Feldern der politischen Medienbildung, der sozial-ökologischen Transformation und der demokratischen Teilhabe werden wir unsere Expertise ausbauen.
Warum braucht es in diesen Zeiten Evangelische Akademien?
Hanna Lorenzen: Heute ist es wichtiger denn je, unterschiedliche Perspektiven auf gemeinsame Zukunftsfragen zusammenzubringen. Evangelische Akademien sind Teil einer lebendigen, demokratischen Zivilgesellschaft. Evangelische Akademien sind Orte für Diskurse, die den Perspektivwechsel ermöglichen und zugleich Orientierung bieten. Sie sind auch Orte der politischen Bildung, die Menschen in ihrer Kritik- und Urteilsfähigkeit stärken und sie dazu ermutigen, sich gesellschaftlich zu engagieren, Demokratie als gestaltbar und gesellschaftliche Verhältnisse als veränderbar zu begreifen. Evangelische Akademien erreichen zudem Milieus außerhalb der Kirche und sind mit ihren protestantischen Perspektiven anerkannte Partner für Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Kultur.
Ole Jantschek: Die entscheidenden Fragen sind für mich: Wo finden Menschen heute Räume, in denen sie miteinander ins Nachdenken kommen, die Perspektiven anderer wahrnehmen und eine demokratische Streitkultur erleben? Wo finden sie Räume, aus denen sie informierter, nachdenklicher, inspirierter und mit Lust auf Engagement herausgehen? Als Evangelische Akademien und als Evangelische Trägergruppe können wir solche Räume schaffen. Wir sind zum Glück nicht die Einzigen, denn in einer pluralen Gesellschaft gibt es für solche Begegnungen viele Gastgeber*innen. Diese sollten in ihrer Verschiedenheit erkennbar bleiben, auch wir als evangelische Orte und Träger. Und gleichzeitig wollen wir uns öffnen, um eine politische Bildungsarbeit zu machen, die der Pluralität unserer Gesellschaft gerecht wird. Aus der Arbeit in Projekten wie «Empowered by Democracy», «Alles Glaubenssache?» oder «Zukunft inklusive?» haben wir in dieser Hinsicht viel Praxiserfahrung gesammelt, wie solche inklusiven Räume aussehen können. Ich freue mich sehr, daran in den kommenden Jahren weiterzuarbeiten und noch mehr als bisher unsere Angebote für Jugendliche und Erwachsene zusammenzudenken.
Was ist das Evangelische in der Akademiearbeit?
Hanna Lorenzen: Evangelische Akademien sind Denkwerkstätten für Orientierungsfragen, die für Kirche und Gesellschaft wichtig sind. Sie nehmen dabei eine wichtige Scharnierfunktion ein, indem sie zum einen gesellschaftspolitische Themen in Kirche tragen und zum anderen protestantische Perspektiven in gesellschaftspolitischen Debatten stärken. Egal ob die Mobilitätswende, Jugendpolitik oder Sorgearbeit im Mittelpunkt stehen, protestantische Perspektiven machen einen großen Unterschied sowohl für die Art und Weise, wie diese Themen diskutiert werden als auch für das Ergebnis, das dabei herauskommt.
Ole Jantschek: Die Frage nach dem «Evangelischen» ist selbst Gegenstand von Akademiearbeit, und es gilt, dies immer wieder neu zu übersetzen. Ich finde den Anspruch wichtig, dass wir für jedes Thema, das wir aufgreifen, auch beschreiben können, warum wir uns als Evangelische Akademien und Evangelische Trägergruppe damit beschäftigen und was unsere Perspektive darauf ist. Der Kern ergibt sich für mich aus der bedingungslosen Anerkennung jedes Menschen und zugleich dem Anspruch, sich aus dieser Freiheit heraus und mit den eigenen Fähigkeiten für eine bessere Welt zu engagieren.
Hanna Lorenzen leitet seit Juni 2023 als Generalsekretärin die Geschäftsstelle der Evangelischen Akademien in Deutschland (EAD). Zuvor war sie sieben Jahre als Bundestutorin der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et) tätig. Weitere Informationen
Ole Jantschek ist seit Februar 2021 Bundestutor der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (et), für die er bereits seit 2014 als Pädagogischer Leiter tätig ist. Weitere Informationen