Evangelische Akademien Deutschland
17. Februar 2025 | Evangelische Akademien in Deutschland e. V.

„Antisemitischem, rassistischem und nationalistischem Gedankengut entgegenwählen"

Bischöfin Kirsten Fehrs im Interview


Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der EKD und Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, im Interview über protestantische Standpunkte, evangelische Akademiearbeit und die Bundestagswahl.

EAD: Frau Fehrs, Sie wurden im November zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Was haben sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?

Kirsten Fehrs: Als weiterhin starke zivilgesellschaftliche Partnerin evangelische Kirche ins Gespräch gehen. Gerade jetzt. Angesichts der Diskursverstörungen, etwa beim Thema Migration, müssen wir konsequent der Würde des Menschen und der Nächstenliebe das Wort reden. So klar wie friedfertig. Im Gegenüber zur Politik überparteilich, im Miteinander der Religionen respektvoll und friedensstiftend, im Streit konsensorientiert. Die derzeit so abwertende Tonalität und Sprachaufrüstung macht vielen Menschen Angst. Und Krieg, Klimakrise, überhaupt alle geopolitischen Umstürze lösen Ohnmachtsgefühle aus. Diese bewältigen zu helfen, sehe ich nicht nur die öffentliche Theologie, sondern die Seelsorge weit vorn. Telefonseelsorge, Krankenhaus-, Notfallseelsorge. Gemeinsam mit der Diakonie. Mich bewegt: Wie können wir auch spirituell den Menschen Zuversicht geben, wie lässt sich die Friedenskraft unserer Kirche zum Tragen bringen, wie können wir also in der Nähe der Menschen bleiben mit ihren Bedürfnissen? Das ist auch ob der geringeren Ressourcen herausfordernd. Aber ich bin überzeugt: Selbst wenn wir ärmer und kleiner werden, zurückziehen dürfen wir uns nicht.

Das gilt auch für ein koordiniertes und entschlossenes Vorgehen bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt. Gemeinsam mit den Betroffenen, versteht sich. In jeder Einrichtung und Gemeinde der EKD und Diakonie müssen Schutzkonzepte verinnerlicht worden sein. Nur so, mit größerer Sensibilität hin zu einer Kulturveränderung, können wir glaubwürdig Kirche sein.

Die Verständigung über wichtige gesellschaftliche Fragen scheint zunehmend schwieriger zu werden. Gelegentlich sind die „Fronten“ geradezu verhärtet. Auch protestantische Positionen zu Politik, Gesellschaft und zu ethischen Fragen sind vielfältig. Was wäre für Sie eine gemeinsame Klammer?

In der aktuellen gesellschaftlichen Spannungslage sehe ich die Aufgabe unserer Kirche vor allem darin, Dialogräume zu eröffnen – für alle Menschen samt ihrer unterschiedlichen Meinungen, Lebensauffassungen, Glaubensüberzeugungen. Das heißt, jetzt gerade nicht in die Polarisierungen einzusteigen, sondern einen Raum des Friedens aufrecht zu erhalten. Einen Sprachraum, in dem man sich gegenseitig ausreden lässt und einander manchmal auch aushalten muss. Kirche kann erfahrungsgemäß ein Verständigungsort sein, der gleichermaßen Schutzraum für Gespräche und Gebetsraum für Verzweiflung ist. Getragen von der Hoffnung, dass wir Dinge gemeinsam zum Besseren wenden können.

Die Evangelischen Akademien stehen ein für eine auf Zukunft ausgerichtete Kirche, die Verantwortung für die Gesellschaft und die Demokratie übernimmt. Sie wirken dabei nicht nur als Forum für Kontroversen, sondern als Faktor, indem sie Position zu drängenden gesellschaftlichen Fragestellungen beziehen. Ein Beispiel sind die gemeinsamen „Stellungnahmen zur Demokratie“ der fünf ostdeutschen Akademien. Sollten sich Akademien und Kirche stärker in öffentliche Debatten einschalten?

Ich habe die Akademien immer geschätzt als einzigartige Bildungsorte, die unverzichtbar sind für den demokratischen Diskurs. Sie sind „Kirche am anderen Ort“, also Verständigungsorte unserer Gesellschaft, die multiperspektivisch eine differenzierte Meinungsbildung ermöglichen. Gerade jetzt ja gilt: Politik braucht aktive Auseinandersetzung. Faktenbasiert, sachkundig, unaufgeregt. Evangelische Akademien stehen dafür, in vielfältiger Weise Krisen und Konflikte in ihrer Komplexität gedanklich zu durchdringen. Auch mit dem Ziel, dem Empörungsmodus kluge Besonnenheit entgegenzusetzen und der permanenten Destruktion die konstruktive Lösungssuche. Extremistischen Positionen muss konsequent der Nährboden entzogen werden. Auch deshalb möchte ich Sie unbedingt ermutigen, diesen Kurs fortzusetzen – und ja, vielleicht auch öffentlicher zu machen. Dort, wo Menschenwürde und Demokratie gefährdet sind, Haltung zu zeigen, die von Jesus Christus zeugt.

Gibt es etwas, was Sie den Menschen in Deutschland vor der anstehenden Bundestagswahl mitgeben möchten?

Freie Wahlen sind ein Privileg, um das uns viele Länder beneiden. Also: Wählen gehen! Die Demokratie stärken und sich für sie engagieren! Indem wir Kandidat:innen wählen, die für Menschenrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen. Wurzelt doch die Demokratie in Grundwerten, die wir aus christlicher Überzeugung teilen: die Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Regeln des sozialen Ausgleichs und Rechtsstaatlichkeit. Die Demokratie lebt dabei von Kompromissen, die mühsam erarbeitet und erstritten werden. Und weil es ja nicht nur mich besorgt, dass ein politischer, menschenverachtender Extremismus ganz bewusst Angst und Hass gegen Minderheiten schürt, möchte ich – gern gemeinsam mit den Akademien- appellieren, jeder Verbreitung von antisemitischem, rassistischem und nationalistischem Gedankengut entgegenzuwählen und der unverlierbaren, von Gott geschenkten Menschenwürde, die bei ausnahmslos allen unantastbar ist, die Stimme zu geben.

 

Foto: Jens Schulze

Kirsten Fehrs wurde am 12. September 1961 in Wesselburen (Schleswig-Holstein) geboren. Nach dem Abitur studierte sie Evangelische Theologie in Hamburg und wurde nach ihrem Vikariat in der Kirchengemeinde Waabs 1990 zur Pastorin in der damaligen Nordelbischen Kirche ordiniert. Sie leitete unter anderem das Evangelische Bildungswerk im Kirchenkreis Rendsburg und hatte dort auch eine Projektpfarrstelle für Personal- und Gemeindeentwicklung inne, bevor sie zur landeskirchlichen Personal- und Organisationsentwicklung wechselte. Von 2006 bis 2011 war sie im Doppelamt Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost und Hauptpastorin an der Hauptkirche St. Jacobi. Zur Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck wurde Kirsten Fehrs im Juni 2011 von der Synode der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche gewählt. Sie trat ihr Amt am 15. November 2011 an. Am 5. Juni 2021 wurde Kirsten Fehrs für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Am 10. November 2021 wurde Kirsten Fehrs zur stellvertretenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Dem Rat gehört sie seit 2015 an. Seit dem 20. November 2023 ist Bischöfin Fehrs amtierende Ratsvorsitzende der EKD.