Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt e.V.
Philosophieren über „Gott und die Welt und sich selbst“
Lebensorientierung ostdeutscher Jugendlicher in einer pluralen Demokratie
Raus aus der Schule, weg von zu Hause, in Ruhe nachdenken und miteinander reden. Fünf Tage fahren Jugendliche aus den elften bis dreizehnten Jahrgängen der Jenaplanschule Jena jedes Jahr in die Jugendbildungsstätte Hütten in Thüringen. In der ersten Schulwoche nach den Sommerferien philosophieren und diskutieren sie hier in mehreren parallelen Arbeitsgruppen zu jährlich wechselnden Themen. Diese dienen der Orientierung in unserer modernen plural ausgerichteten Demokratie und der insbesondere in Ostdeutschland stark säkular geprägten Gesellschaft.
Das Besondere daran: Man lebt zusammen, man philosophiert in Ruhe und Muße, man isst und feiert gemeinsam. Eine Woche geistig aktiv und konzentriert am Thema dranbleiben, ohne Schulklingel, ohne ständigen Fächerwechsel, ohne Druck, Stoff abzuarbeiten.
Die Arbeitsgruppenthemen stehen einige Wochen vor dem Seminar zur Auswahl. In einem Jahr geht es um „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“, ein andermal um „Lebenskönnerschaft“ oder es sind, wie in diesem Jahr, „Religionen und Religionskritik in der pluralen Gesellschaft“ das Thema. Die Arbeitsgruppen waren:
- Gott? – Vom (Un-)Sinn der Religion
- Verbundenheit hoch drei – Glauben und Religion in einer zukunftsfähigen Welt
- Die Schule der Gottlosigkeit – Von Welterlösungsideen zu totalitären Paradiesentwürfen
Die Jugendlichen haben im Verlauf des Seminars jederzeit die Möglichkeit, Abläufe, Themenschwerpunkte, Arbeitsweisen mitzubestimmen und tun das auch regelmäßig. Das trägt dazu bei, dass sie diese Woche als ihre Woche verstehen, wie ein von ihnen gedrehtes Video zeigt:
In den altersgemischten Themengruppen diskutieren die Jugendlichen mit fachkundiger Unterstützung ihre mitgebrachten Fragen und klären in einer offenen und respektvollen Atmosphäre ihre Erfahrungen. Sie prüfen die Maßstäbe für ihre Wertungen oder Urteile und lernen, Begründungen für ihre Aussagen zu geben bis alle in der Gruppe sie verstanden haben. Ganz in sokratischer Tradition wird auf die allen gemeinsame Vernunftfähigkeit und Begründungskompetenz vertraut. Sie üben ungewohnte Perspektivwechsel und lernen, aufmerksam zuzuhören – auch fremden, ungeliebten Positionen – und sie fragend zu verstehen, statt wie so oft, allzu schnell ein fertiges Urteil zu fällen.
Zwischen den Themengruppen gibt es einen Austausch über Zwischenergebnisse, was Synergieeffekte für die eigene Gruppendiskussion mit sich bringt. Sowohl Gedanken aus der Geistesgeschichte als auch aktuellen Diskussionen, insbesondere der Philosophie, werden einbezogen. Es ist nebenbei auch ein schöner Aha-Effekt, wenn jemand herausfindet, dass die eigenen Ideen ähnlich schon bei Aristoteles, Nietzsche oder Hannah Ahrendt vorkamen. Wenn die Woche gelingt, haben alle einen gemeinsam erarbeiteten Denk-Weg beschritten, der erfahrungsgemäß noch lange nachwirkt.
Mit der angekündigten Streichung der öffentlichen Fördermittel für das Projekt „Alles Glaubenssache?“ – dem einzigen im Osten Deutschlands – endet voraussichtlich auch diese Seminarwoche. Die beteiligten Akteur*innen bemühen sich, neue Unterstützung für das einzigartige Seminarprojekt zu finden, dessen Anfänge fast ein Vierteljahrhundert zurückreichen. Ausführlichere Informationen zur Geschichte und zur Besonderheit des Formats sowie zu einzelnen Seminarabläufen gibt es unter diesem Link.
Ansprechperson: Carsten Passin