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Die eigene Kultur mit anderen Augen sehen

Dokumentarfilmprojektwoche mit einer Mittelschulklasse in Bayern


Im Rahmen einer Filmprojektwoche des Projekts „Alles Glaubenssache?“ reflektierten 20 Schüler*innen der Mittelschulklasse Lauingen die Kulturen ihrer Eltern. Sie filmten und interviewten Protagonist*innen aus dem familiären Umfeld zum Thema „Essen und Esskultur“ und entwickelten eigene dokumentarische Kurzfilme.

„Müssen wir denn jetzt unbedingt die Mittagspause machen? Wir sind mittendrin und ich hätte nie gedacht, dass mir das Schneiden so viel Spaß macht, Beate!“ Die beiden Schüler auf dem Foto, die an ihrem Dokumentarfilm arbeiten und am liebsten auf ihre Mittagspause verzichtet hätten, entdecken am vierten Tag der Projektwoche gerade ihre Freude am Filmschneiden. Vorangegangen waren drei intensive Tage, an denen zwei Expert*innen für Filmpraxis, Hans Rambeck vom Drehort Schule e.V. und Maya Reichert von DOK.education, die Jugendlichen in die Kunst des Dokumentarfilmens einführten. Dabei wechselten sich die Theorieeinheiten mit kleinen praktischen Übungen ab.

Antworten gab es auf zentrale Fragen rund um das Erstellen eines Dokumentarfilms: „Wie halte ich die Kamera richtig?“, „Wie nah muss ich an die zu filmende Person rangehen?“, „Wie kann ich das natürliche Licht sinnvoll einsetzen?“ „Wie gelingt eine störungsfreie Tonaufnahme?“

Neben diesem technischen Können erlernten die Teilnehmenden auch Grundlagen in der Kunst der Gesprächsführung, des aktiven Zuhörens sowie des richtigen Fragen-Stellens, um das Vertrauen der Protagonist*innen zu gewinnen. Die Ergebnisse dieser Übungseinheiten wurden im Klassenzimmer direkt im Anschluss mit der Haltung des fehlerfreundlichen Lernens ausgewertet. Das förderte unter anderem die offene und vertrauensvolle Atmosphäre untereinander.

Doch nun erstmal zurück auf Anfang!

Am ersten Projekttag trainierten die Jugendlichen unter der professionellen Anleitung die Kamerahaltung, die richtige Positionierung und den Umgang mit Licht. Die zentrale Aufgabe an diesem Tag, lautete: Protagonist*innen aus dem familiären Umfeld zu finden und diese zum Thema Essen und eigener Esskultur am darauffolgenden Tag zu befragen. Zwei Mütter und ein Vater luden je ein Team zu sich nach Hause ein. Ein weiteres Team sammelte sich um einen volljährigen Schüler aus der Klasse, der sich zum Kochen und Interview in der Schulküche bereit erklärte. Begleitet wurden die vier Gruppen jeweils von einer Person des Projektteams. Mit im Gepäck: die am Vormittag vorbereiteten Interviewfragen. Dann ging es los. Die Protagonist*innen wurden „richtig“ positioniert, es wurde gefilmt, interviewt, der Ton kontrolliert und mitgeschrieben. Alle Schüler*innen hatten Aufgaben übernommen, damit der Dreh gelingt. Im Anschluss der Filmaufnahmen durfte die Filmcrew die vor der Kamera zubereiteten Gerichte gemeinsam mit deren Protagonist*innen essen. Eines der unplanbaren Highlights der Woche, denn Essen verbindet, und die Schüler*innen durften dank der Einladung die Kraft der Gastfreundschaft als universelle Sprache direkt erfahren und erleben.

Am nächsten Tag musste das Filmmaterial von den jeweiligen Gruppen gesichtet und sortiert sowie das Schnittprogramm erlernt und angewendet werden. Diese Fähigkeiten galt es auf vielfältige Weise einzusetzen und auszubauen. Denn so wie es im künstlerischen Dokumentarfilm üblich ist, musste beispielsweise die jeweilige Interviewfrage weggeschnitten und auf erklärende Kommentare verzichtet werden. Zentral ist, dass die Aussagen der Interviewten im fertigen Film für sich stehen können. Auch Detailaufnahmen galt es aus dem Rohmaterial herauszusuchen und in die jeweiligen Dokumentarfilme sinnvoll einzufügen.  So unterlegten die jungen Filmschaffenden beispielsweise einige Aufnahmen von der Zubereitung der Speisen mit den Interviewaussagen. Dadurch erhielten die selbst gestalteten künstlerischen Dokumentarfilme ihre Spannung, was einen guten Dokumentarfilm unter anderem auszeichnet. Zwei Jugendliche nahmen noch eine besonders anspruchsvolle Aufgabe an: sie übersetzten die Interviewantworten der eigenen Mutter beziehungsweise des eigenen Vaters in die deutsche Sprache und sprachen sie mit ruhiger und klarer Stimme ein.

Vier beeindruckende Filme sind in dieser Woche entstanden, die am Abschlusstag im Klassenzimmer gemeinsam angeschaut und gewürdigt wurden:

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„Was hast du erlebt?“, „Welche Person hast du näher kennenlernen dürfen?“ waren zentrale Fragen in der Auswertung und Reflexion. Es ging um das Erleben und das Begreifen, dass es ein großes Geschenk ist, wenn Menschen ihre Türen öffnen und uns teilhaben lassen an ihrem Leben. Es ging um Respekt, demokratische Aushandlungsprozesse bei der Aufgabenverteilung innerhalb der Filmteams, Reflexion der Gruppenprozesse und vieles mehr. Die Schüler*innen lernten neben technischen und gestalterischen Fertigkeiten auch deren Mitschüler*innen besser kennen. Sie übernahmen Verantwortung und auch Aufgaben, die sie sich sonst nicht zugetraut hätten. Weiter übten sie sich in der Reflexion der in den Kurzdokumentarfilmen jeweils porträtierten Kultur und lernten dabei, ihren Blick darauf mit anderen zu teilen. So bekamen sie vielfältige und differenzierte Einblicke in das Leben einzelner Mitschüler*innen, was das Verständnis füreinander förderte und das Miteinander im Klassenkontext insgesamt verbesserte. Und last but not least lernten sie auch eine Menge über sich selbst. So wie die beiden eingangs erwähnten Schüler ihre Leidenschaft für Filmeschneiden und ihr Durchhaltvermögen hierfür entdeckten, so dass sie von uns Erwachsenen erinnert werden mussten, dass Mittagspausen auch wichtig sind – für den weiteren kreativen Schaffensprozess und überhaupt!

 

In Folge #18 des Podcasts „Seefunken“ kommen einige Teilnehmende der Projektwoche zu Wort. Hier reinhören:

Eine Dokumentarfilmwoche wie diese kann Strukturen und Abläufe des Schulalltags aufbrechen und dadurch Räume und Zeit für diese vielfältigen neuen Lernerfahrungen der Schüler*innen schaffen. Es lohnt sich!

Ansprechperson: Beate Hartmann