Evangelische Akademien Deutschland
Evangelische Akademie Thüringen

"Allersleben" oder: Aufwachsen in der DDR

Game-based Learning in der historisch-politischen Bildung


Im Spiel „Allersleben. Ein Biografiespiel zum Aufwachsen in der DDR“ entwickeln Jugendliche (Lebens-)Geschichten, wie sie hätten sein können in den 1980ern in der DDR. Denn sie schlüpfen beim Spielen in individuelle Rollen einer Klasse der Polytechnischen Oberschule im fiktiven Örtchen Allersleben und erleben drei Schuljahre, in denen sich nicht nur ihre Rollen, sondern auch die DDR verändern.

Es ist 1986 in Thüringen. Peggy ist 13 und geht in die 8. Klasse der Polytechnischen Oberschule in Allersleben. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und plant Veranstaltungen für ihre Jugendfreunde. Sie wird von den Lehrkräften häufig für ihren Einsatz gelobt. Doch dann, als die Wahl zum FDJ-Sekretär der Klasse ansteht, bekommt nicht sie den Posten, sondern Torsten – der Faulpelz. Nur, weil seine Eltern in der Partei sind.

Dirk ist in Peggys Klasse. Er interessiert sich nicht für die Wahl zum FDJ-Sekretär und insgesamt für die Schule nur so viel wie unbedingt nötig. Dirk konzentriert sich ganz auf seinen Sport: Schwimmen. Er träumt von Olympia oder zumindest dem Sportgymnasium. Als Gerüchte um Doping und seinen Trainer aufkommen, ist er sich sicher, dies durch ein offenes Gespräch aus der Welt schaffen zu können. Aber sein Trainer wird furchtbar wütend und auf einmal ist Dirk beim Training ständig außen vor. Irgendwann reicht es ihm und er plant beim Sommerlager zu fliehen. Er will über die Ostsee in den Westen schwimmen. Andere sollen es schon geschafft haben…

Wieder anders ergeht es der Klassenkameradin Jenny, die Schlagzeugerin in einer Bluesband ist. An sich total super! Aber in der Band gibt es ständig Streit darum, ob sie auf Englisch singen sollen, wie ihre großen Idole aus den USA, oder lieber auf Deutsch, weil das weniger Ärger gibt und so auch mal ein Auftritt bei einem Schulfest drin wäre. Der Dauerkrach belastet die Freundschaft und sorgt auch nicht gerade für musikalische Höhenflüge.

Game-based Learning in der historisch-politischen Bildung

Peggy, Dirk und Jenny hat es so nie gegeben und auch das Örtchen ist eine reine Erfindung. Doch zeigt sich an diesen Geschichten, wie unterschiedlich Menschen das Leben in der DDR empfanden und wie weit die Diktatur in die Lebensentwürfe und den Alltag eingriff und das Leben prägte. Durch die Methode des Game-based Learning erspielen sich die Jugendlichen Freiräume und werden kreativ, um dennoch ihren Träumen und Ideen nachzugehen – ganz so, wie es Zeitzeug*innen heute über ihr Aufwachsen in der SED-Diktatur berichten.

Das Spiel „Allersleben“ wird in der Arbeit der Ev. Akademie Thüringen und der Jugendbildungsstätte Junker Jörg im Rahmen von DDR-Projektwochen eingebunden. Jugendgruppen setzen sich darin eine Woche lang intensiv mit der späten DDR auseinander, lernen historische Zusammenhänge ebenso kennen wie persönliche Lebensgeschichten und Alltagserfahrungen. Zudem werden auch die Geschichten eingebracht, die die Jugendlichen von zu Hause aus Berichten der eigenen Familie kennen. Der spielerische Zugang über „Allersleben“ ist auf diese Weise einer neben weiteren – wie etwa Gedenkstättenbesuchen, Zeitzeug*innengesprächen oder der Arbeit mit historischen Quellen.

Das Spiel bietet einen emotionalen, multiperspektivischen Zugang, Alltagsleben und Jugend in der DDR kennenzulernen. Dabei werden verschiedene Aspekte aufgegriffen, da das Spiel in maximal sechs verschiedenen Kleingruppen gespielt wird, die jede einen speziellen Aspekt aufgreifen: So erfährt man als Band mehr über Subkultur und Musik in der DDR, während die Junge Gemeinde und die Offene Arbeit sich mit dem Thema Kirche und Opposition beschäftigen. Die anderen drei Cliquen repräsentieren mit den Themen FDJ, Leistungssport und Technik eher systemkonforme Gruppen. In der Reflexion nach dem Spiel wird besprochen, wie unterschiedlich die Herausforderungen, Voraussetzungen und Möglichkeiten in den verschiedenen Cliquen sind und wie ein und dasselbe Erlebnis zu ganz unterschiedlichen Entscheidungsanforderungen und -freiheiten führt. So wird ein Stück DDR-Geschichte nachvollziehbar und vor allem deutlich, wie Leben in einer Diktatur die individuelle Freiheit einschränkt.

Wichtig in der Reflexion ist neben der Aufarbeitung der Perspektivvielfalt und der verschiedenen Einflussfaktoren der künstliche Charakter des Spiels. Gleichwohl es auf historischen Tatsachen und sorgsamer Recherche basiert und mit Zeitzeug*innen entwickelt wurde, bleibt es eine sehr spezielle Art, Geschichte darzustellen. In der Vielfalt der Methoden einer gesamten Projektwoche bietet sich dann ein Mosaik an Einblicken, das zum einen das historische Wissen der Teilnehmenden erweitert. Zum anderen reflektieren die Jugendlichen auch den Wert des Lebens in einer freiheitlichen Demokratie. So sind sie stets froh, die Diktaturerfahrung im Spiel nur ganz kurz gestreift zu haben.

„Allersleben“ ist ein gemeinsames Projekt der Evangelischen Akademie Thüringen, der Jugendbildungsstätte Junker Jörg Eisenach zusammen mit Spawnpoint – Institut für Spiel- und Medienkultur sowie der Evangelischen Akademie für Land und Jugend e.V. Altenkirchen.

Ansprechperson: Dr. Annika Schreiter